
Scrum in Unternehmen dient vorrangig dem Ziel, die Produktentwicklung zu beschleunigen. EduScrum will diese Methode auf die Schule übertragen. Kann das ein Ziel für die Schule sein?
Corona hat es nicht nur geschafft, uns die digitalen Defizite unseres Bildungssystems in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen. Es befeuert auch ganz generell die Debatte um die Zukunft unserer Bildung.
Eine Online-Konferenz jagt die nächste, es twittert und bloggt aus vollen Rohren und in Online-Barcamps ist man/frau sich einig: die traditionelle Schule ist am Ende.
Kein Wunder, dass sich auch die Anbieter von Trainings- und Fortbildungsmaßnahmen für Lehrer*innen mit ihren Angeboten darauf einstellen. Sie versprechen kollaboratives Lernen, systemisches Denken und achtsames Handeln. Gefordert wird mehr Lebensweltorientierung in der Schule. Ja, das wäre sicherlich ein Gewinn für die Zukunft der jungen Menschen, wenn es gelänge, die Schule stärker mit der Gesellschaft, dem Leben außerhalb der Schule zu verbinden. Aber nicht alles, was dazu im Netz angeboten wird, wird diesem Ziel gerecht.
Der neueste Hype, der jetzt aus den Niederlanden nach Deutschland schwappt: EduScrum, in Anlehnung an die vorwiegend in der Softwarebranche eingesetzte Scrum-Methode.
Scrum ist eine Variante des Projektmanagements. Es regelt die Zusammenarbeit in Projekt-Teams und definiert dazu unterschiedliche Rollen, Meetings und Ergebnisse, die Teamarbeit effektiver machen sollen. Die Projektlaufzeit wird dazu in Etappen, sogenannte „Sprints“ eingeteilt. Am Ende jedes Sprints muss dem Kunden ein funktionsfähiges Zwischenprodukt präsentiert werden. Auf der Basis des Kundenfeedbacks startet der nächste Sprint. Projektplan und Produkt werden so kontinuierlich angepasst und verbessert.
Im sog. „Backlog“ werden die noch zu erledigenden Arbeitsaufgaben gespeichert. Bei EduScrum wird diese Aufgabenliste aus dem Curriculum abgeleitet wird. „Backlog“ hört sich natürlich moderner an als Aufgabenliste. Die Summe der im Team zu bearbeitenden Aufgaben wird dann einfach als „Projekt“ bezeichnet.
Es gibt jedoch weder einen Projektauftrag noch einen Auftraggeber, mit dem die Schüler*innen eine Auftragsklärung durchführen könnten.
Es gibt auch keine Stakeholder, also Menschen, die von dem „Projekt“ in irgendeiner Weise tangiert wären oder ein Interesse daran hätten. Folglich gibt es auch kein Risikomanagement. Und die Frage, warum das „Projekt“ überhaupt erforderlich ist, erübrigt sich. Warum? Weil es im Lehrplan steht. Da es keine wirklichen Abnehmer oder Kunden der „Lernprodukte“ gibt, wird dann z. B. argumentiert, dass der Schüler sein eigener Kunde sei, weil er etwas gelernt hat. (Quelle: Online-Basecamp Schule ist Leben, „KidsScrum als Methode für projektorientiertes Lernen – Vorbereitung auf die Zukunft der Arbeit“ am 26.09.2020)
Scrum in Unternehmen dient vorrangig dem Ziel, die Produktentwicklung zu beschleunigen. Aber kann das im übertragenen Sinne ein Ziel für die Schule sein? Geht es in der Schule nicht vielmehr darum, langsames und kritisches Denken zu üben? (Siehe auch: Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag, 2012, ISBN 978-3-88680-886-1.). Von solchen Bedenken lassen sich die EduScrum-Verfechter jedoch nicht beeindrucken. Gegenüber kritischen Einwänden wird dann behauptet: eduScrum ist nicht Scrum. Sondern eduScrum. Aha! Und dann wird die Katze aus dem Sack gelassen:
„Mit Hilfe von eduScrum sollen Schüler, genau wie Hochschüler und Studenten, anstehende Klausuren schreiben können„.
Alles eduScrum, oder was?! Teamworkblog
Bei eduScrum geht es also darum, die anfallende Lernarbeit (das Bulimielernen ) geschickt im Team aufzuteilen und zu erledigen. Vom Projektbasierten Lernen also keine Spur. Unter der Überschrift „Projektmanagement fürs Klassenzimmer“ wird suggeriert, dass EduScrum etwas mit Projektlernen zu tun hat. Doch wer weiterliest, erfährt, dass es bei EduScrum nur darum geht,
„… zu verstehen, wie man sich in ein neues Thema einarbeiten kann, von dem man vorher keine Ahnung hatte“.
Karin Becker, Scrum-Expertin bei sofatutor
Übrigens: „In der Realität funktionieren agile Teams sehr gut. Egal, ob es darum geht, bessere medizinische Diagnoseplattformen zu schaffen oder bessere Überwachungssoftware für E-Mails in Diktaturen“. Warum? Weil die Standard-Frage aus dem Projektmanagement „Warum ist das Projekt wichtig“ nicht gestellt wird. Kritisches Denken? Fehlanzeige.
Fazit: EduScrum ist der misslungene Versuch, die traditionelle Stoffvermittlung mit dem Etikett einer bestenfalls leistungssteigernden Methode aus der Wirtschaft zu versehen und als innovative Lernform zu vermarkten.